Standpunkt Mittelstand: Neue Arbeitswelt – Wie der Mittelstand die Generationenkluft überbrücken kann

Thomas Burkhard, Wirtschaft und Mittelstand

Von Thomas Burkhardt, Ressortleiter Wirtschaft/Mittelstand

In meinem Familienunternehmen für Präzisionstechnik erlebe ich täglich, was viele Mittelständler in der Region bestätigen: Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Als ich vor 35 Jahren meine Ausbildung bei Audi begann, waren die Spielregeln klar: pünktlich sein, hart arbeiten, Hierarchien respektieren. Heute stellen junge Bewerber Fragen, die meine Generation nie zu stellen gewagt hätte: „Wie flexibel sind die Arbeitszeiten?“, „Welche Werte vertritt Ihr Unternehmen?“, „Wie fördern Sie Work-Life-Balance?“

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache

Die Daten sind alarmierend: 41% der Gen-Z-Bewerber „ghosten“ potenzielle Arbeitgeber während des Bewerbungsprozesses – sie brechen einfach den Kontakt ab, ohne Erklärung. Bei Millennials sind es immerhin noch 37%. Für viele meiner Kollegen in der Mittelstandsvereinigung ist das ein Kulturschock. „Früher war man dankbar für jede Chance“, höre ich oft beim Unternehmerstammtisch.

Doch die junge Generation dreht den Spieß um. Wie der Personalberater Bryan Driscoll treffend feststellt: „Die Generation Z ist nicht aus dem Nichts heraus so mit Arbeitgebern umgegangen. Diese haben schon seit Jahrzehnten mögliche Kandidaten plötzlich geghostet.“ Eine unbequeme Wahrheit, der wir uns stellen müssen.

Was kostet uns das konkret?

Für mittelständische Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken entstehen erhebliche Kosten:

  • Durchschnittlich 4.700 € pro fehlgeschlagenem Rekrutierungsprozess (Quelle: IHK Heilbronn)
  • 3,2 Monate Vakanzzeit pro Position, mit entsprechenden Produktivitätseinbußen
  • Einarbeitungskosten von 6.500 € bis 15.000 € pro Mitarbeiter

Diese Zahlen sind für viele Familienunternehmen existenzbedrohend, besonders in Zeiten von Fachkräftemangel und wirtschaftlicher Unsicherheit.

Generationenkonflikt oder Chance?

Bei aller Frustration: Die Gen Z bringt auch frischen Wind. In meinem eigenen Betrieb habe ich erlebt, wie junge Mitarbeiter mit ihrer digitalen Kompetenz Prozesse optimieren, die wir „Alteingesessenen“ nie hinterfragt hätten. Sie denken kundenzentrierter und bringen neue Perspektiven ein.

Entgegen mancher Vorurteile ist die Gen Z keineswegs arbeitsscheu. Sie definiert Arbeit nur anders. Während meine Generation Erfolg an Arbeitszeit und hierarchischem Aufstieg maß, sucht die junge Generation nach Sinn und Entwicklungsmöglichkeiten. 39% der Gen-Z-Professionals erwägen, innerhalb der nächsten sechs Monate den Job zu wechseln – nicht aus Faulheit, sondern weil sie Wachstum und Zufriedenheit suchen.

Was erfolgreiche Mittelständler anders machen

In Gesprächen mit über 30 Familienunternehmen aus der Region habe ich Erfolgsrezepte identifiziert:

  1. Transparente Kommunikation: Erfolgreiche Betriebe kommunizieren klar über Unternehmensziele und -werte. Die Maschinenfabrik Berger in Heilbronn führt monatliche „Open Talks“ mit der Geschäftsführung ein – mit messbarem Erfolg bei der Mitarbeiterbindung.

  2. Flexible Arbeitsmodelle: Die Weinmann GmbH in Neckarsulm hat ihre Produktionsabläufe umgestellt und bietet nun 80% der Stellen in Teilzeit an – die Bewerberzahlen haben sich verdreifacht.

  3. Entwicklungsperspektiven: Die Fischer Werkzeugbau GmbH investiert 5% des Jahresumsatzes in Weiterbildung und verzeichnet eine um 40% geringere Fluktuation als der Branchendurchschnitt.

  4. Sinnstiftung: Die Umwelttechnik Müller GmbH bindet junge Mitarbeiter in Nachhaltigkeitsprojekte ein und konnte so die Identifikation mit dem Unternehmen messbar steigern.

Mein Fazit: Pragmatismus statt Kulturkampf

Als Unternehmer mit 30 Jahren Erfahrung rate ich zu nüchternem Pragmatismus. Die neue Arbeitskultur ist keine vorübergehende Mode, sondern Realität. Wer als Mittelständler überleben will, muss sich anpassen – ohne die eigenen Werte aufzugeben.

In meinem eigenen Betrieb haben wir vor zwei Jahren ein Mentoring-Programm eingeführt, bei dem erfahrene Mitarbeiter mit jungen Kollegen zusammenarbeiten. Das Ergebnis: Wissenstransfer in beide Richtungen und 30% weniger Fluktuation.

Besonders erfolgreich war die Einführung von „Flex-Freitagen“, an denen Mitarbeiter selbst entscheiden können, ob sie im Homeoffice oder in der Produktion arbeiten. Die Produktivität ist nicht gesunken – im Gegenteil. Und die Krankheitsquote ging um 22% zurück.

Die Rechnung ist einfach: Ein Unternehmen, das 10.000 € in flexible Arbeitsmodelle und Weiterbildung investiert, spart langfristig ein Vielfaches an Rekrutierungs- und Fluktuationskosten.

Der Mittelstand hat Vorteile

Anders als Konzerne können wir im Mittelstand schnell und unbürokratisch handeln. Wir kennen unsere Mitarbeiter persönlich und können individuelle Lösungen finden. Das ist unser Wettbewerbsvorteil im Kampf um Talente.

Die Generation Z mag anders ticken als wir – aber sie ist die Zukunft unserer Betriebe. Statt über „verwöhnte Jugend“ zu klagen, sollten wir die Chance nutzen, gemeinsam eine Arbeitskultur zu schaffen, die das Beste aus allen Generationen vereint.

Wirtschaftlich sinnvoll ist, was langfristig zum Unternehmenserfolg beiträgt. Und dazu gehören heute eben nicht nur effiziente Prozesse, sondern auch zufriedene Mitarbeiter, die sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren.


Thomas Burkhardt ist Ressortleiter Wirtschaft/Mittelstand bei HEILBRONN.BETA und führt in zweiter Generation ein Familienunternehmen für Präzisionstechnik. Er ist Vorstandsmitglied der Mittelstandsvereinigung Heilbronn und Lehrbeauftragter an der FH Heilbronn.

Quellen

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