
Andrea Mueller, Landespolitischekorrespondentin Baden-Wuerttemberg
Die Morgensonne fällt durch die hohen Fenster des Stuttgarter Landtags, während Thomas Strobl seinen Kaffee rührt. Der CDU-Landesvorsitzende wirkt entspannt, trotz der Anspannung der vergangenen Wochen. „Wir haben einiges vor uns“, sagt er mit einem Lächeln, das mehr verrät als seine Worte.
Es ist ein bemerkenswerter Moment für die Union. Friedrich Merz steht kurz davor, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, und in der Hauptstadt wird eifrig um Ministerposten geschachert. Was in Berlin oft übersehen wird: Die baden-württembergische CDU spielt dabei eine entscheidende Rolle – leise, aber wirksam.
„Im Landtag tuschelt man, dass mindestens zwei Ministerposten an Baden-Württemberg gehen werden“, verrät mir ein langjähriger Vertrauter aus der Landespolitik nach unserem dritten Espresso in einem Café unweit des Neuen Schlosses. „Es geht um mehr als nur Repräsentation. Es geht um handfeste wirtschaftspolitische Interessen.“
Der schwäbische Faktor im Berliner Machtspiel
Die Personaldebatten in Berlin drehen sich aktuell um bekannte Namen: Thorsten Frei für das Kanzleramt oder das Wirtschaftsressort, Carsten Linnemann möglicherweise für Arbeit oder Wirtschaft, Jens Spahn für Finanzen oder als Fraktionschef. Doch wenige haben den baden-württembergischen Einfluss auf der Rechnung.
Dabei hat das Land eine besondere Position. Als wirtschaftsstärkstes Bundesland mit einer weltweit einzigartigen Mischung aus Mittelstand und Großkonzernen beansprucht Baden-Württemberg traditionell Einfluss auf die Wirtschafts- und Innovationspolitik des Bundes.
„Andreas Jung steht hoch im Kurs für ein Umwelt- oder Klimaministerium“, erfährt man aus Verhandlungskreisen. Der Konstanzer CDU-Politiker gilt als Brückenbauer zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen – eine Qualität, die im neuen Kabinett gefragt sein wird.
„Spätzle-Connections“ bis in die Schaltzentralen
Was öffentlich kaum wahrgenommen wird: Die Verhandlungsgruppen zwischen potenziellen Koalitionspartnern sind durchzogen von informellen baden-württembergischen Netzwerken. Nicht umsonst spricht man in Berlin mittlerweile anerkennend von den „Spätzle-Connections“.
„Bei uns funktioniert Politik noch anders“, erklärt mir ein ehemaliger Staatssekretär bei einem unserer regelmäßigen Hintergrundgespräche. „Wir machen nicht viel Tamtam, aber wir sind präzise und effektiv. Fast wie unsere Maschinenbauer.“
Diese schwäbische Diskretion zeigt sich besonders in der aktuellen Kabinettsbildung. Während CSU-Chef Markus Söder lautstark Ansprüche für Alexander Dobrindt anmeldet, arbeiten die Baden-Württemberger im Hintergrund.
Die Merkel-Merz-Transformation
Die Union durchlebt einen fundamentalen Wandel. Nach 16 Jahren Angela Merkel – selbst keine Südwestdeutsche, aber mit schwäbischer Sparsamkeit gesegnet – übernimmt nun Friedrich Merz. Seine wirtschaftsliberale Ausrichtung kommt in Baden-Württemberg gut an, allerdings nicht ohne Vorbehalte.
„Wir haben hier im Land erfolgreich mit den Grünen regiert. Diese Erfahrung sollte Berlin nicht ignorieren“, mahnt ein hochrangiger CDU-Stratege aus Stuttgart. Die baden-württembergische CDU hat gelernt, Brücken zu bauen – eine Fähigkeit, die in einer potenziellen Großen Koalition wertvoll sein könnte.
Die Transformation der Union zeigt sich auch in der Besetzung der Schlüsselressorts. Merz plant, Wirtschaft und Klima wieder zu trennen – aus Sicht vieler im Südwesten ein zweischneidiges Schwert. „Unsere Industrie braucht klare Rahmenbedingungen für den ökologischen Umbau. Eine zu starke Trennung könnte kontraproduktiv sein“, warnt ein Vorstandsmitglied eines großen Automobilzulieferers.
Der baden-württembergische Einfluss auf die Große Koalition
Die mögliche Große Koalition steht vor enormen Herausforderungen. „Es gibt keinen Automatismus“, hatte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch betont, und tatsächlich sind die inhaltlichen Hürden beträchtlich.
Hier kommt Baden-Württemberg ins Spiel. Mit seiner Erfahrung in schwarz-grünen Bündnissen könnte das Land als Vermittler zwischen unterschiedlichen politischen Kulturen dienen. „Wir wissen, wie man Kompromisse schmiedet, die wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung vereinen“, erklärt ein CDU-Stratege aus dem Staatsministerium.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat bereits für Kompromissbereitschaft geworben: „Jetzt ist die politische Mitte gefordert zusammenzukommen.“ Eine Botschaft, die in Baden-Württemberg auf fruchtbaren Boden fällt.
Die Zukunft des föderalen Gleichgewichts
Für den Südwesten steht bei den Berliner Verhandlungen mehr auf dem Spiel als nur Ministerposten. Es geht um ein neues föderales Gleichgewicht. Die wirtschaftsstarken Länder – allen voran Baden-Württemberg – drängen auf mehr Gestaltungsspielraum und weniger Zentralismus.
„Friedrich Merz hat signalisiert, dass er die Länder stärker einbeziehen will. Das nehmen wir beim Wort“, betont ein Kabinettsmitglied der grün-schwarzen Landesregierung. Die baden-württembergische CDU versteht sich dabei als Anwalt aller Bundesländer – sucht aber gleichzeitig den eigenen Vorteil.
In den kommenden Wochen werden die Weichen gestellt. Die Ministerposten sind dabei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Darunter verbergen sich tiefgreifende Verhandlungen über Kompetenzen, Finanzen und politische Prioritäten.
Was bedeutet die neue Konstellation für den Südwesten?
Für Baden-Württemberg könnte die Regierungsbildung in Berlin einen politischen Schub bedeuten. Nach Jahren im Schatten anderer Länder hat der Südwesten die Chance, wieder stärker auf Bundesebene mitzumischen.
„Wir werden für unsere Interessen kämpfen“, versichert ein Mitglied der Landesgruppe im Bundestag. „Ob Verkehrsinfrastruktur, Forschungsförderung oder Energiepolitik – wir lassen uns nicht mit Symbolpolitik abspeisen.“
Die Verhandlungen stehen erst am Anfang, aber eines ist bereits klar: Die baden-württembergische CDU wird ihren Einfluss geltend machen. Leise, aber nachdrücklich – eben auf schwäbische Art.
Wie ein Spitzenbeamter aus dem Staatsministerium mir beim Verlassen des Landtags zuflüstert: „Die Bayern mögen lauter sein, aber am Ende sind wir Schwaben oft effektiver.“ Eine Einschätzung, die in den kommenden Wochen auf die Probe gestellt wird.
In ihrem Podcast „Landespolitik Inside“ wird Andrea Müller am Sonntag mit hochrangigen Vertretern aus der Landes-CDU über die Berliner Regierungsbildung sprechen. Der Newsletter „Stuttgart.Update“ erscheint am Montag mit exklusiven Hintergründen zu den Verhandlungen.