
Dimitrios Alexandris, Resort Kultur und Integration
Der Rasen ist noch feucht vom Morgentau, als ich am Sportplatz des VfR Heilbronn ankomme. Es ist Samstag, 7:30 Uhr, und während die Stadt noch schläft, sind hier bereits die ersten Spieler eingetroffen. Männer mit Wurzeln in der Türkei, in Griechenland, in Italien – ein Mikrokosmos Heilbronns auf 7.140 Quadratmetern Rasen.
„Kalimera, Dimi!“ ruft mir Mehmet zu, während er seine Tasche aus dem Kofferraum hievt. Wir kennen uns seit Jahren – nicht aus der Redaktion, sondern aus meinem Café, wo die Jungs nach Spielen oft vorbeikommen. „Heute machst du also einen auf Reporter?“ Er lacht, klopft mir auf die Schulter. „Wird Zeit, dass jemand unsere Geschichte erzählt.“
Die andere Seite des Spiels
In Heilbronn gibt es zwei Fußball-Realitäten. Da ist die offizielle Version mit Tabellen, Aufstiegschancen und Transfergerüchten. Und dann gibt es das, was ich „fußballerisches Unterholz“ nenne – die Vereine, die nicht nur Sport treiben, sondern Heimat schaffen.
Onur Celik, Vorsitzender des VfR Heilbronn, sitzt mir gegenüber auf der kleinen Holzbank am Spielfeldrand. Seine Worte haben in der lokalen Fußballszene für Aufsehen gesorgt: „Der Amateurfußball ist viel weiter weg von der Basis als der Profifußball. Unten denken sie, dass sie es können, oben können sie es wenigstens.“
Während wir reden, laufen sich die ersten Spieler warm. Celik folgt ihnen mit den Augen. „Ich habe diesen Verein aus dem Boden gestampft“, sagt er mit einer Mischung aus Stolz und Müdigkeit. „Aber manchmal frage ich mich, ob die Region Fußball überhaupt versteht.“
Wo Sport Heimat schafft
Im Vereinsheim riecht es nach Kaffee und dem Schweiß vergangener Spiele. An den Wänden hängen Fotos von Mannschaften aus den letzten Jahren – Gesichter aus aller Welt, vereint unter dem Logo des VfR.
„Für viele ist das hier mehr als ein Verein“, erklärt mir Emre, der seit der Gründung dabei ist. „Es ist ein Stück Identität. Wenn du neu in einer Stadt bist, gibt dir der Fußball sofort Anschluss, eine Gemeinschaft.“
Die Spieler auf dem Platz kommunizieren in einem Sprachmix aus Deutsch, Türkisch, Griechisch und der universellen Sprache des Fußballs. Ein kurzer Zuruf, eine Handbewegung – sie verstehen sich blind.
Die unsichtbare Arbeit
„Die meisten sehen uns als Geschäftspartner“, hatte Celik in seinem Statement geschrieben. Jetzt, während er einem jungen Spieler zeigt, wie man richtig flankt, verstehe ich, was er meint. Hier geht es nicht um Geschäfte. Es geht um die tägliche, oft unsichtbare Arbeit, die nötig ist, um einen Verein am Leben zu halten.
„Weißt du, wie viele Stunden ich hier jede Woche verbringe?“, fragt mich Celik, ohne eine Antwort zu erwarten. „Unbezahlt. Aus Liebe zum Spiel und zu diesen Jungs.“
In Griechenland haben wir ein Sprichwort: „Το ποδόσφαιρο είναι η χαρά του λαού“ – Fußball ist die Freude des Volkes. Aber was ich hier sehe, geht darüber hinaus. Es ist nicht nur Freude, es ist Identität, Integration, manchmal sogar Therapie.
Die Herausforderungen
Nach dem Training sitze ich mit einigen Spielern und Betreuern zusammen. Sie erzählen von den Herausforderungen: knappe Kassen, Schwierigkeiten bei der Platzsuche, Vorurteile gegenüber „Migrantenvereinen“.
„Manchmal fühlt es sich an, als müssten wir doppelt so gut sein, um die gleiche Anerkennung zu bekommen“, sagt Kadir, einer der Spieler. „Aber das macht uns auch stark.“
Celik nickt. „Ich habe mehr erreicht als gedacht und ein wunderbares Schiff auf den Ozean gebracht“, zitiere ich aus seinem Statement. Er lächelt müde. „Ja, aber manchmal ist das Meer sehr stürmisch.“
Die Zukunft des Heilbronner Fußballs
Als ich den Sportplatz verlasse, hat sich die Atmosphäre verändert. Familien sind eingetroffen, Kinder spielen am Rand, es riecht nach Gegrilltem. Der Fußball ist hier ein Fest, eine wöchentliche Zusammenkunft, die weit über das Sportliche hinausgeht.
Celik hat gesagt, er werde in drei Jahren entscheiden, ob und wie er weitermachen möchte. Ich frage mich, was aus diesem Verein, dieser Gemeinschaft werden würde, wenn er tatsächlich aufhören sollte.
Vielleicht liegt genau hier die Chance für den Heilbronner Fußball: in der Erkenntnis, dass diese Vereine nicht nur Sportanbieter sind, sondern kulturelle Institutionen, die unsere Stadt bereichern. Sie verdienen nicht nur unsere Aufmerksamkeit, sondern auch unsere Unterstützung.
Wie Celik es ausdrückt: „Mir würde es weh tun, wenn die wenigen, die das alles verstehen, irgendwann darunter leiden müssten.“
Der Ball rollt weiter auf dem Rasen des VfR Heilbronn. Und mit ihm die Hoffnungen, Träume und Identitäten von Menschen, die in diesem Spiel viel mehr sehen als nur Sport. Sie sehen darin ein Stück Heimat.
Dimitrios Alexandris berichtet regelmäßig über die Kulturaspekte des Sports in seiner Kolumne „Mehr als ein Spiel“ und in seinem Podcast „Underground Heilbronn“.