
Dimitrios Alexandris, Resort Kultur und Integration
Von Dimitrios „Dimi“ Alexandris
Co-Ressortleiter Kultur & Subkultur
28. Februar 2025
Letzte Woche saß ich mit drei Leuten an einem Tisch in meinem Café: einem Graffiti-Künstler, der gerade einen 50.000-Euro-Auftrag für die Fassadengestaltung eines Tech-Unternehmens bekommen hat, einer Tänzerin, die ihr Studio dichtmachen muss, weil die Miete wieder gestiegen ist, und einem Wirtschaftsförderer, der verzweifelt nach „kreativem Input“ für den nächsten Innovationsgipfel sucht. Wie ein alter griechischer Spruch sagt: „Drei Menschen, vier Meinungen“ – und alle hatten sie recht.
Die Realität der Kreativwirtschaft ist ein ständiger Tanz zwischen künstlerischem Ausdruck und wirtschaftlicher Notwendigkeit. Ein Tanz, bei dem manchmal die Kunst führt und manchmal das Geld. Und Heilbronn? Wir stehen noch etwas unbeholfen am Rand der Tanzfläche und überlegen, ob wir mitmachen sollen.
Die unsichtbare Milliarden-Maschine
Mein Kollege Robert Mucha wird nächste Woche zum German Creative Economy Summit nach Hamburg fahren. In seinem Artikel spricht er von 103,7 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung durch die Kreativwirtschaft. Eine Zahl, die größer ist als die des Maschinenbaus. Lasst das mal sacken: Die „Kreativen“ – oft belächelt als Cappuccino-schlürfende Hipster oder verkannte Künstlerseelen – bewegen mehr Kohle als die Maschinenbauer mit ihren Werkshallen und Exportschlagern.
Warum merkt das keiner? Weil kreative Wertschöpfung anders funktioniert. Sie versteckt sich in der App, die du täglich nutzt, im Logo, das du sofort erkennst, im Podcast, der dich durch den Stau begleitet, im Club-Sound, der dein Wochenende definiert.
Als ich vor 15 Jahren mein erstes Kulturcafé eröffnete, hat mein Vater gefragt: „Und wovon willst du leben?“ Heute beschäftige ich zwölf Leute, organisiere Events für Unternehmen und bin Teil einer Wertschöpfungskette, die Heilbronn dringend stärker nutzen sollte.
Die Heilbronner Realität: Zwischen Weinberg und Algorithmus
Heilbronn steht an einem interessanten Punkt. Wir haben die DHBW, die Experimenta, die Dieter Schwarz Stiftung und einen wachsenden Tech-Sektor. Wir haben Weinberge und Rechenzentren. Was uns fehlt, ist das kulturelle Bindeglied – der kreative Kitt, der aus technologischer Innovation echte gesellschaftliche Transformation macht.
Letzte Woche habe ich mit Sarah, meiner Co-Ressortleiterin, über die leerstehenden Ladenflächen in der Innenstadt gesprochen. „Dimi,“ sagte sie, „das ist doch genau wie in deinem Podcast über Athen nach der Finanzkrise – erst kamen die Künstler, dann die Cafés, dann die Start-ups.“
Sie hat recht. In Hamburg hat die Kreativ Gesellschaft mit ihrem „Projekt Jupiter“ und dem Programm „Frei_Fläche“ bereits 28.000 Quadratmeter Leerstand in lebendige Räume verwandelt. In Heilbronn? Wir diskutieren noch über Parkplätze und Fußgängerzonen, während die Rollläden unten bleiben.
Underground Economy: Was die Zahlen nicht zeigen
Was in keiner Wirtschaftsstatistik auftaucht: Die Underground Economy der Kreativszene. Der DJ, der tagsüber als Programmierer arbeitet. Die Tätowiererin, die nebenbei Illustrationen für Tech-Start-ups macht. Der Streetart-Künstler, der plötzlich Corporate Identity für eine Bank gestaltet.
In meinem Podcast „Underground Heilbronn“ habe ich letzten Monat mit Mira gesprochen, einer 24-jährigen Game-Designerin. Sie arbeitet remote für ein Berliner Studio, lebt aber in Heilbronn, „weil ich hier noch eine Wohnung finden kann, die ich mir leisten kann.“ Kreative Wertschöpfung, die in Berlin verbucht wird, aber in Heilbronn stattfindet.
Diese unsichtbaren Netzwerke sind das eigentliche Kapital einer kreativen Stadt. Bei meiner „CrossCulture“-Eventreihe letzte Woche trafen sich Programmierer und Poeten, Architekten und Aktivisten. Mitten im Gespräch sagte ein Softwareentwickler zu einer Tänzerin: „Eigentlich machen wir das Gleiche – wir übersetzen Ideen in Bewegung.“ Zwei Stunden später planten sie bereits ein gemeinsames Projekt.
Was Hamburg hat und wir brauchen
Hamburg hat verstanden, dass Kreativwirtschaft kein nettes Beiwerk ist, sondern ein echter Wirtschaftsfaktor. Mit fast 60 Mitarbeitern orchestriert die Hamburg Kreativ Gesellschaft seit 2010 jene Prozesse, die neue Realitäten schaffen.
Was können wir von Hamburg lernen?
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Räume öffnen: Leerstände als Chancen begreifen. Als wir letztes Jahr die „Urban Art Gallery“ in einem leerstehenden Schuhgeschäft eröffneten, kamen am ersten Wochenende 1.200 Besucher. Menschen, die danach in der Innenstadt gegessen, getrunken und eingekauft haben.
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Netzwerke knüpfen: Die Stärke der Kreativwirtschaft liegt in der Vernetzung. Ein Filmemacher trifft eine Programmiererin trifft einen Musiker – und plötzlich entsteht ein VR-Konzert-Erlebnis, das international Aufmerksamkeit erregt.
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Narrative schaffen: Hamburg erzählt sich als kreative Stadt. Diese Erzählung zieht Talente an, inspiriert Investoren und schafft Identifikation. Heilbronn hat seine Weinbau-Geschichte, seine Industriegeschichte – aber wo ist unsere kreative Erzählung?
Produktive Irritation als Wirtschaftsfaktor
Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda spricht von „produktiver Irritation“ – genau das, was eine Stadt wie Heilbronn manchmal braucht. Als wir letztes Jahr beim „Street Art Festival“ die Betonwand am Bahnhofsvorplatz bemalen ließen, gab es erst Empörung, dann Diskussion, schließlich Begeisterung. Heute ist die Wand ein Instagram-Hotspot und Touristenmagnet.
Kreativität stört – und genau diese Störung brauchen wir für Innovation. Die Tech-Unternehmen in Heilbronn haben das längst verstanden. Bei meinem letzten Besuch in einem der neuen Start-up-Hubs sagte der Gründer: „Wir stellen bewusst Querdenker ein, Leute mit Kunst- oder Musikhintergrund. Die stellen die richtigen Fragen.“
Der Heilbronner Weg: Authentisch bleiben, mutig werden
Heilbronn wird nie Hamburg sein – und das ist gut so. Wir brauchen keinen Hamburger Hafen, keine Reeperbahn, keine Elbphilharmonie. Was wir brauchen, ist der Mut, unseren eigenen kreativen Weg zu finden.
Als ich vor drei Jahren mein Kulturcafé „Alexandris“ eröffnete, sagten viele: „Das funktioniert nicht in Heilbronn.“ Heute ist es ein Treffpunkt für die Kreativszene, für Studierende, für Querdenker – und ja, auch für Wirtschaftsleute, die nach neuen Ideen suchen.
Die Verbindung von Kultur und Wirtschaft ist keine Einbahnstraße. Es geht nicht nur darum, dass Kultur wirtschaftlich sein muss. Es geht auch darum, dass Wirtschaft kulturell sein sollte. Nachhaltig, sinnstiftend, identitätsbildend.
Was jetzt zu tun ist
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Eine Heilbronner Kreativ-Agentur gründen: Klein anfangen, aber mit klarem Mandat. Drei, vier Leute, die Räume öffnen, Netzwerke knüpfen, Narrative schaffen.
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Leerstandsmanagement revolutionieren: Einfache, unbürokratische Zwischennutzungen ermöglichen. Pop-up-Stores, Ausstellungsflächen, Co-Working-Spaces.
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Kreative Bildung fördern: Die Verbindung von MINT und Kunst stärken. Programmieren und Poesie, Algorithmen und Ästhetik.
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Sichtbarkeit schaffen: Die kreativen Erfolgsgeschichten Heilbronns erzählen. Den DJ, der international tourt. Die Designerin, die für globale Marken arbeitet. Den Fotografen, dessen Bilder in New York ausgestellt werden.
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Kreative Räume sichern: Bezahlbare Ateliers, Studios und Proberäume erhalten und schaffen. Wer die Kreativen verdrängt, verliert die Zukunft.
Kultur macht Cash, Cash macht Kultur
Am Ende geht es um einen neuen Blick auf die Wechselwirkung von Kultur und Wirtschaft. Kultur ist nicht nur ein nettes Beiwerk für den Wirtschaftsstandort. Und wirtschaftlicher Erfolg ist nicht der Feind kultureller Authentizität.
In meinem Café treffen sich Banker und Breakdancer, Unternehmerinnen und Urban Artists. Sie sprechen verschiedene Sprachen, aber wenn wir die richtigen Räume schaffen – physisch und mental – dann verstehen sie sich. Und aus diesem Verstehen entstehen die Ideen, die Heilbronn voranbringen werden.
Wie wir in Griechenland sagen: „Aus dem Chaos entsteht der Tanz.“ Heilbronn ist bereit für neue Schritte. Lasst uns tanzen.
Dimitrios „Dimi“ Alexandris ist Co-Ressortleiter Kultur & Subkultur bei HEILBRONN.BETA, Betreiber des Kulturcafés „Alexandris“ und Host des Podcasts „Underground Heilbronn“. Er organisiert das jährliche „Street Art Festival“ und die Event-Reihe „CrossCulture“.