
Dr. Barbara Waldmann, Resort Techethik und Gesellschaft
In einer Zeit, in der der VfB Stuttgart als erster Profifußballclub dem IPAI in Heilbronn beitritt, stehen wir an einem bedeutsamen Wendepunkt der Digitalisierung im Sport. Diese Entwicklung wirft fundamentale Fragen auf, die weit über taktische Analysen und wirtschaftliche Potenziale hinausreichen. Als Ethikerin sehe ich mich in der Verantwortung, den Diskurs um künstliche Intelligenz im Sport in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext einzubetten.
Die Transformation des Sports durch KI: Ein ethischer Balanceakt
Die Integration von KI-Systemen in den Profifußball markiert nicht nur einen technologischen Fortschritt, sondern eine tiefgreifende Transformation dessen, was wir unter sportlichem Wettbewerb verstehen. Wie der Philosoph Hans Jonas uns mahnte, wächst mit unserer technologischen Macht auch unsere Verantwortung. Die Frage ist nicht nur, was KI im Sport kann, sondern was sie soll.
Der VfB Stuttgart strebt, wie in der Pressemitteilung beschrieben, einen „Dreiklang aus Befähigung der Menschen, Agilität durch Technik und Wachstum durch digitale Geschäftsmodelle“ an. Dieser Ansatz verdient eine ethische Reflexion: Steht tatsächlich die Befähigung des Menschen im Mittelpunkt, oder droht die Technik zum Selbstzweck zu werden?
Datenhoheit und informationelle Selbstbestimmung
Ein zentraler ethischer Aspekt betrifft die Datenhoheit. Wenn Spielerbewegungen, physiologische Daten und sogar emotionale Zustände algorithmisch erfasst werden, müssen wir fragen: Wem gehören diese Daten? Wer darf darüber entscheiden, wie sie verwendet werden?
Die informationelle Selbstbestimmung der Athleten könnte in Konflikt geraten mit den Interessen von Vereinen, Sponsoren und Medien. Hier bedarf es eines robusten ethischen Rahmens, der die Würde und Autonomie der Sportler schützt. Die geplante Befähigung der Mitarbeitenden „zum ethisch-verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz“ beim VfB ist ein Schritt in die richtige Richtung – vorausgesetzt, sie geht über oberflächliche Compliance-Schulungen hinaus.
Fairness und Chancengleichheit im KI-Zeitalter
Die Implementierung von KI-Systemen wirft Fragen der Fairness auf mehreren Ebenen auf:
- Ressourcengerechtigkeit: Werden KI-Technologien die Kluft zwischen finanzstarken und finanzschwächeren Vereinen vertiefen?
- Algorithmische Fairness: Wie können wir sicherstellen, dass KI-Systeme frei von diskriminierenden Verzerrungen sind?
- Transparenz: Inwieweit müssen KI-Entscheidungsprozesse für alle Beteiligten nachvollziehbar sein?
Im Sinne Rawls‘ Gerechtigkeitstheorie müssten wir fragen: Würden wir die Einführung von KI-Systemen im Sport befürworten, wenn wir nicht wüssten, ob unser Verein zu den technologischen Gewinnern oder Verlierern gehören wird?
Das Wesen des Sports im digitalen Zeitalter
Die vielleicht tiefgreifendste Frage betrifft das Wesen des Sports selbst. Sport verkörpert traditionell menschliche Tugenden wie Anstrengung, Mut, Kreativität und Überwindung. Wenn KI-Systeme zunehmend Entscheidungen über Taktik, Spielerauswahl und sogar Spielzüge treffen, was bleibt dann vom menschlichen Element des Sports?
Der Philosoph Bernard Suits definierte Spiele als „das freiwillige Überwinden unnötiger Hindernisse“. Die Faszination des Sports liegt gerade in der menschlichen Unvollkommenheit, im Unvorhersehbaren, im Moment der Überraschung. Eine übermäßige Algorithmisierung könnte diese wesentlichen Elemente gefährden.
Ein Plädoyer für verantwortungsvolle Innovation
Die Kooperation des VfB Stuttgart mit dem IPAI bietet die Chance, einen ethisch reflektierten Weg in die digitale Zukunft des Sports zu gestalten. Besonders begrüßenswert erscheint mir das Vorhaben, „Bildungsangebote über die VfB Stiftung als auch über die VfB Bildungsakademie“ zu entwickeln, „die ebenso den nachhaltigen und verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz vermitteln sollen.“
Hier liegt eine Chance, nicht nur technologische Innovation voranzutreiben, sondern auch ethische Innovation zu fördern. Der Sport könnte zum Modell werden für einen menschenzentrierten Einsatz von KI-Technologien, der technischen Fortschritt mit humanistischen Werten verbindet.
Fazit: Der Dialog muss weitergehen
Als Gesellschaft stehen wir erst am Anfang einer tiefgreifenden Diskussion über die ethischen Implikationen von KI im Sport. Diese Diskussion muss pluralistisch, inklusiv und fortlaufend sein. Sie muss Stimmen aus der Technologie, dem Sport, der Ethik, aber auch von Fans und der breiteren Öffentlichkeit einbeziehen.
In meinem Podcast „Ethik & Algorithmen“ werde ich in den kommenden Wochen Vertreter des VfB Stuttgart und des IPAI zum Dialog einladen, um gemeinsam zu reflektieren, wie wir die Chancen der KI nutzen können, ohne die Seele des Sports zu gefährden.
Denn letztlich geht es nicht nur um die Frage, wie KI den Sport verändert, sondern auch darum, welche Art von Gesellschaft wir im digitalen Zeitalter sein wollen.
Dr. Barbara Waldmann ist Ressortleiterin Tech-Ethik bei HEIMATNERD.74 und leitet das Ethik-Komitee. Sie ist Gastdozentin für KI-Ethik an der DHBW und Beirätin am „AI Ethics Lab Heilbronn“.