
Andrea Mueller, Landespolitischekorrespondentin Baden-Wuerttemberg
Die Nominierung von Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten der Union markiert einen vorläufigen Höhepunkt in der bemerkenswerten Comeback-Geschichte des 68-jährigen Sauerländers. Doch während im Konrad-Adenauer-Haus die Sektkorken knallen, zeigen sich bereits die ersten Risse in der Fassade der vermeintlichen Geschlossenheit. Im Landtag tuschelt man bereits über die strategische Zurückhaltung von Hendrik Wüst und das taktische Kalkül hinter Söders überraschend kampflosem Rückzug.
Der lange Weg zurück an die Macht
Friedrich Merz‘ politische Karriere gleicht einer Achterbahnfahrt. Nach seinem Rückzug aus der Bundespolitik 2009 schien der ehemalige Fraktionsvorsitzende bereits politische Geschichte zu sein. Doch wie ein Phönix aus der Asche kehrte er zurück – zunächst in den Bundestag, dann an die Parteispitze und nun als designierter Kanzlerkandidat. Meine Quellen im Staatsministerium bestätigen: Diese Entwicklung wird in Stuttgart mit gemischten Gefühlen betrachtet.
Digitale Altlasten als Symptom
Besonders pikant: Während Merz sich als Modernisierer der CDU inszeniert, holen ihn digitale Altlasten ein. Die erneute Aktivierung der Domain „fotzenfritz.tk“, die auf seine offizielle Seite weiterleitet, offenbart eine symptomatische Schwachstelle. Nicht nur für Merz persönlich, sondern für die gesamte politische Landschaft.
„Das ist kein Einzelfall“, erklärt mir ein hochrangiger Mitarbeiter der Landespressekonferenz unter vier Augen. „Die digitale Verwundbarkeit etablierter Politiker wird systematisch unterschätzt.“ Dass ausgerechnet Absolventen der nach dem CDU-Politiker benannten Merz-Akademie in Stuttgart bereits vor Jahren auf solche Sicherheitslücken hinwiesen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Wirtschaftskompetenz auf dem Prüfstand
Für Baden-Württemberg als Wirtschaftsstandort steht besonders viel auf dem Spiel. Merz‘ widersprüchliche Signale zur Energiepolitik und zum Verbrennerverbot verunsichern die heimische Automobilindustrie. Meine RegioTrend-Analyse zeigt: Gerade im Südwesten fordern Unternehmerverbände klare Bekenntnisse zu erneuerbaren Energien und Planungssicherheit für die Transformation.
Ein Vorstandsmitglied eines großen schwäbischen Automobilzulieferers (Name der Redaktion bekannt) äußerte sich gestern in einem vertraulichen Gespräch besorgt: „Wenn Merz die Elektromobilität weiter ausbremst, verlieren wir den Anschluss an China. Das kann sich das Autoland Baden-Württemberg nicht leisten.“
Die Migrationsfrage – mehr als Symbolpolitik
Auch in der Migrationsdebatte muss Merz Farbe bekennen. Seine Doppelstrategie – einerseits die wirtschaftliche Notwendigkeit von Zuwanderung anzuerkennen, andererseits mit harter Rhetorik zu punkten – stößt besonders in Baden-Württemberg an Grenzen. Mein InnoTrack-Monitor zeigt: Der Fachkräftemangel im Land hat ein kritisches Niveau erreicht. Symbolpolitik allein wird dieses Problem nicht lösen.
Ausblick: Ein Jahr der Entscheidung
Die kommenden zwölf Monate werden zeigen, ob Merz mehr ist als ein Übergangskandidat. Die entscheidende Frage wird sein, ob er über seine Kernklientel hinaus Wähler mobilisieren kann. Meine Spätzle-Connections in den Landesverbänden signalisieren jedenfalls: Die Union setzt voll auf den Merz-Effekt, während im Hintergrund bereits die nächste Generation in den Startlöchern steht.
Für Baden-Württemberg bedeutet die Kandidatur von Friedrich Merz vor allem eines: Wir müssen unsere landespolitischen Interessen noch deutlicher artikulieren. Denn eines hat die Vergangenheit gezeigt – auf Berlin ist nicht immer Verlass, wenn es um die Zukunft des Südwestens geht.
Andrea Müller ist Baden-Württemberg-Korrespondentin bei HEIMATNERD.74 und Vorstandsmitglied der Landespressekonferenz. Ihr Newsletter „Stuttgart.Update“ erscheint wöchentlich.